SidlerCharlotte RundbRief 2017/nR.4
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cuentos del bosque
Cuentos del bosque RundbRief 2017/nR.4 0302 Cuentos del bosque RundbRief 2017/nR.4
inteRdisZiPlinÄRe ZusammenaRbeit und vielseitiGe einsatZbe-ReicheDie Suche nach Sensibilisierungsmöglichkeiten im urbanen Raum war erfolgreich. Mehrere gemeinsame Projekte mit anderen Fachpersonen von INTERTEAM, die anfangs Jahr noch als Ideen auf dem Papier standen, haben Form und Farbe angenommen.
Nicht nur Wälder sind multifunktional, auch als Fachperson
von INTERTEAM werde ich vielseitig gefördert und gefor-
dert. Mein Aufgabenspektrum ist unter anderem durch das
neue Landesprogramm von INTERTEAM in Bolivien etwas
verschoben worden. So werde ich künftig nicht nur in Agro-
forstprojekten, der Öffentlichkeitsarbeit von ECOSAF oder
der Organisation des nationalen Agroforstkongresses, son-
dern auch in der Sensibilisierungsarbeit für die Umwelt mit
Kindern und Jugendlichen und der Bearbeitung von Unter-
richtsmaterial zu Agroforstwirtschaft mitwirken.
Rolex, victoRinox, sPRünGli und caRan d’acheEs gibt verschiedene Schweizer Produkte, die für ihre Quali-
tät bekannt und weltweit begehrt sind. Dass ich in meinem
Einsatz ausgerechnet Farbstifte vermissen werde, hätte ich
nicht erwartet. Zumal ich für einen Einsatz als Naturwissen-
schaftlerin in Agroforstprojekten und nicht als Künstlerin
ausgereist bin. Zugegeben, ist eine Präzisionsuhr für meinen
Einsatz nicht so wichtig, da Zeitangaben in Bolivien selten
auf die Minute genau angegeben werden. Das Taschenmes-
ser vermisse ich nicht, weil ich selbstverständlich eines ein-
gepackt hatte und Schokolade gibt es auch in Bolivien sehr
gute. Schliesslich wird für die edelste Schweizer Schokolade
ökologisch und in Agroforstsystemen angebauter Wildkakao
aus Bolivien verwendet.
nationaleR aGRofoRstkonGRessAktuell helfe ich bei der Organisation des Nationales Agro-
forstkongresses mit, der Ende Jahr stattfinden wird. Auf-
grund der knappen finanziellen Mittel, mussten wir eini-
ge Aufgaben der Organisation mit Kreativität meistern. So
konnten wir zum Beispiel für die Gestaltung von Plakaten
und Flyer keinen professionellen Designer anstellen und
riskierten daraufhin ohne Mittel für den Druck und Versand
derselben dazustehen. Als jüngstes und technisch begab-
testes Mitglied des Organisationskomitees - ich höre meine
Schwestern lachen, die oftmals der Meinung waren, dass ich
in Sachen Technik etwas in der Steinzeit verblieben sei - habe
ich die Aufgabe übernommen. Meinem Ruf gerecht werdend,
habe ich tatsächlich einen Grossteil der Arbeit in „manuellem
Photoshop“ bearbeitet, wobei ich dann eben die Farbstifte
von Caran d’Ache vermisst habe. Farbstifte derselben Quali-
tät konnte ich vor Ort keine finden. Meine Zeichnung für das
Kongressplakat hat dennoch sogar weitere junge Künstler in-
spiriert.
sensibilisieRunG und PRÄvention mit kindeRnSeit März arbeite ich zusammen mit der INTERTEAM-Arbeits-
kollegin Héloïse Calame in einem von der Departements-
Regierung geführten Kinderheim. Dort bewirtschaften die
teilnehmenden Kinder und Jugendlichen einen kleinen um-
weltfreundlichen Garten. Die Gestaltung des Gartens sowie
die Organisationsform und Arbeitsweise für die verschie-
denen Tätigkeiten des Anbauzyklus: säen – giessen – pfle-
gen – Unkraut jäten – ernten – Samen gewinnen, werden zu-
sammen mit den Teilnehmenden von Grund auf entwickelt.
So erwerben diese einerseits Kenntnisse über ökologische
Produktionsmethoden, andererseits Fähigkeiten bezüglich
der Entwicklung und Umsetzung von Projekten. Ziel dieses
neuen Projektes von INTERTEAM ist es, gewaltbetroffenen
Kindern und Jugendlichen in Cochabamba soziale Fähigkei-
ten und fachliche Kenntnisse für ein unabhängigeres und
gewaltfreies Leben zu vermitteln. Héloïse Calame arbeitet in
verschiedenen Zentren der Departements-Regierung. Für un-
sere Zusammenarbeit haben wir das Kinderheim „Q’anchay
Wasi“ gewählt, welches über viel Platz auch für forstliche
oder agroforstliche Pflanzungen verfügt.
tRaumhafte GÄRten junGeR künstleRIm „Q’anchay Wasi“ lebt auch Eric, 10 Jahre alt und leicht
geistig behindert. Als ich eines morgens ankam, sass er auf
der Türschwelle seines Wohnblocks und malte. Ich konnte
nicht so recht ausfindig machen, was seine Zeichnung dar-
stellte. Im Gespräch fragte er mich, ob ich auch gerne zeich-
ne. „Ja, sehr gerne sogar“, antwortete ich ihm und zeigte ihm
ein Foto meiner Zeichnung fürs Kongressplakat, das ich auf
dem Handy gespeichert hatte. Kaum fünf Sekunden schau-
te er das Bild auf dem Bildschirm an, wurde ganz kribbelig,
blätterte in seinem Heft um und begann ein neues Bild zu ma-
len. Kurz darauf hielt er inne, schaute auf und meinte: „Es ist
Winter und kalt“. Seine Skizze zeigt Hügel mit blattlosen Bäu-
men. Etwas traurig ergänzte er: „Ich habe eben nur diesen
violetten Farbstift.“ Auf meinen Vorschlag die Betreuerinnen
um mehr Farbstifte zu beten und den Garten seiner Träume
zu malen, stand er etwas lustlos auf und ging. Ich widmete
mich daraufhin mit ein paar Kindern der Bewässerung von
35 frisch gepflanzten Bäumen im Hinterhof. Etwas befrem-
dend empfand ich, dass Eric, der sonst immer gerne half, an
diesem Tag nicht dabei war. Erst als wir unsere Wassereimer
zum vierten oder fünften mal auffüllten, näherte er sich der
Gruppe mit seinem Heft in der Hand. Hatte er doch tatsäch-
lich in der Zwischenzeit seine Traumlandschaft gemalt. Auch
die anderen Kinder gratulierten ihm für das sehr gut gelun-
gene Meisterwerk.
Die Begeisterung fürs Thema haben wir allerdings nicht in
fünf Sekunden mit einem Bild vom Handy geweckt. Diese Er-
fahrung zeigte mir aber einmal mehr, dass unsere konstante
Arbeit Früchte trägt. Es war nicht das erste Mal, dass mich die
Kinder des Q´anchay Wasi überraschten.
sÄen, unkRaut jÄten und salat eRntenAngefangen hatten wir mit einem Garten vor dem Wohn-
haus der Kinder, welchen sie verblüffend gut pflegen. Sie
tränken ihn regelmässig und schützen ihn mit einem Netz
vor den Hühnern. Salat, Mangold und Radieschen wuchsen
in Rekordtempo und bald konnten die Kinder ihren ersten
eigenen Salat geniessen. Bei den Pflegearbeiten lernen die
Kinder, dass jede Pflanze ihre speziellen Eigenschaften und
Aufgaben hat. Wie auch sie selber alle verschieden sind und
unterschiedliche Stärken und Schwächen haben. Wird das
Unkraut im Gartenbeet zu gross, beeinträchtigt es das Gemü-
se. Das heisst aber nicht, dass es unnütz oder gar böse ist. Wir
können es ausreissen und zwischen den Kulturpflanzen auf
den Boden legen. Mit der Zeit wird das Unkraut wieder zu
nährstoffreichem Humus zersetzt und solange der Boden be-
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01 Finales Plakat für den Nationalen Agroforstkongress. 02 Ich, Charlotte Sidler, beim Obstbaum-Pflanzen. 03 Alejandro Rojas in seiner Parzelle in der Trockenzeit. 04 Nach anfänglichem Motivationsanstoss: Erics wunderbare Traumlandschaft.
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01 Unkraut jäten im Garten vom Q’anchay Wasi. 02 Erste ernte im Q’anchay Wasi. 03 Frischer und gesunder Salat fürs Mittagessen. 04 Radieschen und Salat sind erntereif.
01 02deckt ist, wird auch kein neues Unkraut nachwachsen. Denn
die Unkräuter sind die ersten Pflanzen, die zu Hilfe eilen,
wenn der Boden verletzt und ungeschützt ist, zum Beispiel
wenn wir ihn für unseren Garten ackern.
WasseR schlePPen füR den q’anchay WaldVon der Baumschule der Departements-Regierung haben wir
Anfangs Juli ca. 100 Setzlinge verschiedener Baumarten er-
halten. Hauptsächlich forstliche Arten aber auch einige, die
Früchte tragen. Etwas ungünstig war, dass die Setzlinge auf
dem Höhepunkt der Trockenzeit und wenn die Nächte zudem
noch sehr kalt sind, geschenkt wurden. Wir haben trotzdem
den “Q’anchay Wald“ angefangen und 35 Bäume im Hinter-
hof gepflanzt, denn die Kinder waren motiviert und wollten
nicht warten. Ich verliess das Q´anchay Wasi anschliessend
etwas besorgt um die Bewässerung der Bäumchen. Denn im
Hinterhof ist es weit und anstrengend, eimerweise Wasser
hinzuschleppen.
Eigentlich arbeite ich nur einmal pro Woche einen Vormit-
tag im Q’anchay Wasi. Aber eine ganze Woche ohne Wasser
und der starken Nachmittagssonne ausgesetzt, sind für frisch
gepflanzte Setzlinge keine optimalen Bedingungen. Ich be-
schloss in jener Woche das Q´anchay Wasi einmal zusätzlich
zu besuchen, um die Kinder beim Wassertragen zu unterstüt-
zen. Die Arbeit der Pflanzung sollte schliesslich nicht um-
sonst gewesen sein. Bei meinem Überraschungsbesuch stellte
ich jedoch fest, dass die Kinder die anstrengende Arbeit nicht
gescheut hatten und alle Bäumchen bereits bewässert hatten.
ein stRohnest Zum schutZEine Woche später waren die Gründe für unsere Besorgnis
andere. Mehrere Frostnächte hatten viele der jungen Pflan-
zen geschädigt. Nun waren die Kinder einverstanden, die be-
reits gepflanzten Bäume gut zu pflegen und mit der Erweite-
rung des Waldes zu warten, bis die Nächte wärmer werden.
Folglich haben wir trockenes Gras geschnitten und jedem
Baum ein Nest gebaut, um ihn sowohl vor Kälte als auch vor
der starken Sonne und Trockenheit zu schützen.
Bald wurden die Nächte wärmer und wir konnten den
Q’anchay Wald mit einem Obstgarten erweitern. Zitrone,
Tumbo und Pacay werden bald Früchte für leckere Limona-
den tragen.
umWeltbildunG findet anklanG an schulenEin weiterer wichtiger Kontakt für die Diffusion von Agro-
forstwirtschaft ist „Fé y Alegría“, die Partnerorganisation
von INTERTEAM-Kollege Thomas Ittmann. Die von Jesuiten
gegründete internationale Bewegung für eine umfassen-
de Bildung und soziale Förderung betreibt im Departement
Cochabamba rund 100 Schulen. Dies öffnet viele Türen für
die Umweltbildung sowohl im urbanen Raum als auch in
ruralen Gebieten. Fé y Alegría arbeitet bereits in mehreren
Schulen in Cochabamba mit Umweltbildungsprojekten von
„Arboles y Futuro“ (Bäume für die Zukunft), einer privaten
NGO mit Wurzeln in Chur. Vor meinem Einsatz bei INTER-
TEAM hatte ich in deren Umweltbildungsprojekt „Pulmones
Verdes (Grüne Lungen)“ mitgearbeitet, mit Schulklassen de-
ren Schulanlagen aufgeforstet und die korrekte Trennung
und Entsorgung von Abfall geübt. Das Projekt ist dank der
konstanten und zuverlässigen Arbeit von Arboles y Futuro in
den Schulen sehr begehrt und hat auch beim departementa-
len Direktor von Fé y Alegría das Interesse an Umweltbildung
geweckt. Dazu kommt, dass die aktuelle Bildungspolitik von
den Schulen verlangt produktiv zu sein. Jede Schule führt ein
sozial gemeinschaftliches Projekt durch, bei dem die Schule
im Kollektiv in irgendeiner Form produktiv ist. Akzeptiert
ist nicht nur die Produktion im landwirtschaftlichen Sinne.
Auch das Sammeln von PET oder anderen wiederverwert-
baren Materialien und deren Verkauf an Recyclingfabriken
oder weitere Formen von Produktivität sind Möglichkeiten.
aGRofoRstWiRtschaft als inteRdisZiPli-nÄRes schulfach im lehRPlan Aktuell startet in La Paz ein Pilotprojekt, das auch den Traum
von Arboles y Futuro etwas näher an die Wirklichkeit rückt:
Umweltbildung wird nicht nur als Nebenprojekt, sondern als
Schulfach in den Lehrplan aufgenommen. Die katholische
Privatschule „Ave Maria“, die von einem Deutschen Kloster
unterstützt wird, will Agroforstwirtschaft von der ersten bis
sechsten Sekundarstufe in den Lehrplan integrieren.
Entstanden ist die Initiative durch die anhaltende Dürre.
Wassermangel hat die Ordensschwestern auf ihrem Land-
stück ausserhalb von La Paz dazu veranlasst, die konventio-
nelle Produktionsweise anzupassen und unter Leitung von
ECO-SAF Mitgründerin Noemi Stadler-Kaulich die Bewirt-
schaftung auf Agroforst umzustellen. Die Methode kennen-
lernend, haben sie die Vielseitigkeit der Agroforstwirtschaft
erkannt. Dazu kommt, dass Arbeitskräfte im ökologischen
und nachhaltigen Landbau immer mehr gefragt sind, jedoch
zurzeit in Bolivien kaum ausgebildet werden. Lehrkräfte der
Privatschule Ave Maria haben dem Bildungsministerium ei-
nen Vorschlag präsentiert, wie sie an ihrer Schule Agroforst-
wirtschaft in den Lehrplan einbauen möchten. Der Vorschlag
wurde vom Bildungsministerium gutgeheissen.
Der Entwurf verbindet verschiedene Schulfächer wie Bio-
logie, Bodenkunde, Chemie, Land- und Forstwirtschaft,
Rechnen, etc. Auch wirtschaftliche Kenntnisse, Marktstrate-
gien und Administration von Mikrounternehmen werden ge-
schult. Zudem spielen soziokulturelle Themen und Geschich-
te der Inkakultur oder Assoziationen und Interaktionen
zwischen Pflanzen, Tieren und dem Menschen eine Rolle. Be-
gleitend erwerben die Schüler an einem praktischen Beispiel
technische Fertigkeiten der Agroforstwirtschaft.
Dieser ganzheitliche Ansatz fehlt in vielen Bildungsinstitu-
tionen. Ave Maria will den Kindern und Jugendlichen den
Horizont erweitern. Sie sollen zum Beispiel in der Lage sein
zu erkennen, dass sie den Abfall nicht nur in den Mülleimer
werfen, damit es sauber aussieht. Sie sollen die Zusammen-
hänge und Auswirkungen von Abfall im Feld, der Verschmut-
zung von Gewässern, Kontamination von Lebensmitteln,
Krankheiten an Tieren und letztlich der negative Einfluss
auf den Ertrag und die Wirtschaft der Landwirte erkennen.
Ziel ist zum einen vernetztes Denken zu fördern, Auswirkun-
gen von Handlungen abschätzen zu können und dadurch re-
spektvolles Sozialverhalten zu stärken.
Zum andern legt Ave Maria Wert darauf, dass die Schüler
beim verlassen der Schule Anschluss auf dem Arbeitsmarkt
finden. Deshalb beinhaltet der Vorschlag sowohl Grundla-
gen, um praktisch in Biolandbau oder Agroforstwirtschaft
arbeiten zu können, als auch theoretische Kenntnisse, die
an der Universität vertieft werden können. Damit haben die
Schüler gute Voraussetzungen für das Berufsfeld ökologische
und nachhaltige Produktion.
lehRmodul aGRofoRstWiRtschaftFür die bevorstehende Umsetzung der Initiative haben die
Schwestern von Ave Maria bei ECO-SAF um die Unterstützung
in der Erarbeitung eines Lehrmoduls für Agroforstwirtschaft
gebeten. Noemi Stadler-Kaulich vom Forschungsbetrieb für
andine Agroforstwirtschaft „Mollesnejta“ und Laura Vilnitz-
ky von INTERTEAM haben mit entsprechendem technischen
und pädagogischen Fachwissen zu Agroforst, Edition und
Gestaltung einen ersten Entwurf des Moduls „Agroforstwirt-
schaft“ erarbeitet. Da der Einsatz von Laura Vilnitzky Mitte
2017 bereits endete, werde ich ihr Werk weiterbearbeiten
und gemeinsam mit Noemi Stadler-Kaulich und Lehrkräften
von Ave Maria das Unterrichtsmaterial fertigstellen.
initiative aus not öffnet tüRen füR die ZukunftWissend um die positive Einstellung bezüglich Umweltbil-
dung, haben Thomas Ittmann und ich das Pilotprojekt dem
departementalen Direktor von Fé y Alegría vorgestellt. Als
erster Schritt hat er uns zum Forschungsbetrieb für andine
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Agroforstwirtschaft „Mollesnejta“ begleitet, um vor Ort von
der Expertin Noemi Stadler-Kaulich mehr über Agroforst-
wirtschaft zu erfahren. Versprochen ist noch nichts, doch
wenn das Pilotprojekt in La Paz erfolgreich ist, gibt es gute
Chancen, die aus Not entstandene Initiative auch an Schulen
von Fé y Alegría in Cochabamba zu verbreiten.
unabhÄnGiGkeit duRch aGRofoRstAlejandro Rojas, Sekundarlehrer für Mathe und Physik, hat durch Agroforstwirtschaft seine Unabhängigkeit erlangt.
Zurück zum Agroforstkongress. Wir erwarten rund 200 An-
meldungen aus Bolivien und Nachbarländern für den Anlass,
der Ende November in Arani, gut 60 km von Cochabamba ent-
fernt, stattfinden wird. In Arani wurde vor drei Jahren der
Agroforstingenieur Studiengang von der Universität San Si-
mon eröffnet. Gemeinsam mit Dozenten und Studierenden
planen wir den diesjährigen Kongress. ECOSAF organisiert
den Nationalen Kongress alle zwei Jahre. Einerseits mit dem
Ziel den Austausch zwischen den verschiedenen Regionen
Boliviens vom tropischen Tiefland bis zur andinen Hochebe-
ne zu verbessern und andererseits um die Kommunikation
zwischen Universitäten, öffentlichen und privaten Institutio-
nen sowie Landwirten zu fördern. Kernpunkt im Programm
sind nicht nur akademische Präsentationen der neusten Er-
kenntnisse, sondern auch Besichtigungen von Agroforstpar-
zellen, wo an praktischen Beispielen im Feld diskutiert und
beraten wird.
duRch einen Zufall Zum aGRofoRstinGenieuREin praktisches Beispiel, das wir für den Kongress ausgewählt
haben, ist die Parzelle von Alejandro Rojas. Alejandro ist um
die dreissig. Aus seiner ersten Ausbildung ist er Sekundarleh-
rer für Mathe und Physik. Ich habe ihn auf seinem Grund-
stück in Arani, getroffen. „Es war reiner Zufall,“ meint er.
„Vor drei Jahren wurde hier in Arani der Agroforstingenieur
Studiengang eröffnet. Der verantwortliche Ingenieur kannte
mich, denn Arani ist klein und er wusste, dass ich früher viel
bei meinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen habe. Auf
seine Anfrage, ob ich studieren möchte, reagierte ich zuerst
skeptisch. Wozu sollte ich studieren, wenn ich schon einen
Beruf hatte? Die Einschreibegebühr war im ersten Jahr je-
doch kostenlos um möglichst viele Jugendliche für den neuen
Studiengang zu motivieren. Da die Anstellungsbedingungen
als Lehrer schlecht sind, der Lohn niedrig ist und meist mit
mehreren Monaten Verspätung ausbezahlt wird, sagte ich
letztlich zu. Meine Eltern verstanden die Entscheidung nicht.
Ich hoffte auf eine bessere Zukunft.“
Durch das Projekt „Verbesserung der Lebenssituation von
Kleinbauern in semiariden Tälern von Cochabamba mit dy-
namischem Agroforst“ von der deutschen NGO Naturefund,
welches von INTERTEAM mitfinanziert wurde, konnte Ale-
jandro eine eigene Agroforstparzelle errichten. Dort setzte
er alles im Studium und in den Projektkursen Gelernte um.
„Meine Familie und meine Nachbarn schüttelten bloss den
Kopf, wenn sie die Büsche, die dichte Streuschicht und die
Unordnung sahen. Aber der Boden braucht Schutz gegen den
Wind und die starke Sonne“, erklärt er.
Ich fragte ihn, was ihn selbst überzeugt hat an der Agroforst-
wirtschaft und beim Studium zu bleiben, schliesslich sei er
nun im dritten Jahr und arbeite vorübergehend nicht als
Lehrer. Das Umdenken sei tatsächlich nicht einfach gewe-
sen, meint er. „In Arani wird der Boden üblicherweise in der
Winterruhe geackert und bleibt während der Trockenzeit un-
bedeckt. Die sandigen Böden werden dann von den starken
Winterwinden verweht. Ich habe viel Neues gelernt über na-
türliche Prozesse und mir wurde klar, dass unsere Landwirt-
schaft nicht gut ist für die Erde. Agroforstwirtschaft ist kaum
bekannt in der Gegend, doch können wir genau dadurch der
Erde helfen und unsere Familien mit gesunden Nahrungsmit-
teln ernähren.”
Alejandro ist neugierig, beobachtet seine Kulturen und ver-
gleicht deren Entwicklung in und ausserhalb des Agroforst-
systems. Diese Neugier war ausschlaggebend um auch seine
Familie davon zu überzeugen. „Als meine erste Ernte von
Bohnen und Kartoffeln zwischen den Forst- und Obstbäu-
men und dazu ohne chemische Dünge- und Pflanzenschutz-
mittel reicher ausfiel als ausserhalb des Agroforstsystems,
begannen sie genauer hinzuschauen. Seither teilen sie meine
Neugier. Sie bringen mir Samen und ermutigen mich neues
auszuprobieren“, erzählt er mit grosser Freude. Aus einem
gesunden Boden schmeckt das Gemüse besser. Auch nahm es
mich wunder was ihn am meisten motiviere Agroforstwirt-
schaft anzuwenden, denn die Methode sei ja im Vergleich zur
konventionellen Mais Monokultur mit mehr Handarbeit ver-
bunden. „Was mich am meisten motiviert, ist zu sehen, wie
der Boden wieder Leben erhält und Kraft bekommt. Meine
Agroforstparzelle bedingt in der Tat mehr Handarbeit und
mehr Aufmerksamkeit auf dem Feld als eine Maismonokul-
tur. Man kann nicht alles mechanisieren. Jede Pflanze rea-
giert in Assoziation mit den verschiedenen Pflanzen in der
Umgebung anders und die Pflegemassnahmen müssen ent-
sprechend angepasst werden. Aber ich bin überzeugt, dass es
sich lohnt etwas mehr zu arbeiten und dafür besser essen zu
können. Auch meine Familie ist der Meinung, dass es ohne
Chemie und aus einem gesunden Boden besser schmeckt. Zu-
dem fühle ich mich allgemein besser“, ergänzt er. „Ich bin un-
besorgter und brauche nicht mehr Monate auf den Lohn zu
warten. Ich habe mein eigenes Geschäft und das wird von Tag
zu Tag grösser und besser. Ich ernte eigene Samen und habe
eine eigne kleine Baumschule. Die Projektparzelle habe ich
bereits auf die doppelte Grösse erweitert. Ich bin unabhän-
gig“, erzählt er mir strahlend. Ob er später wieder als Lehrer
arbeiten will, beantwortet er mit: „Vermutlich schon, zuerst
werde ich aber das Studium beenden. Bisher habe ich in mei-
ner Parzelle vor allem für den eigenen Konsum produziert.
Ab und zu kann ich etwas verkaufen. Wahrscheinlich wer-
de ich Teilzeit als Lehrer tätig sein und die restliche Zeit auf
meinem Land arbeiten. So habe ich als Lehrer meinen Lohn,
komme aber nicht sofort in Schwierigkeiten, wenn dieser
nicht pünktlich ausbezahlt wird.“
Alejandro will Agroforstwirtschaft und den respektvollen
Umgang mit der Natur weiterverbreiten. Er denkt mit und
bringt Vorschläge zur Anpassung der Methode an die lokalen
Bedingungen in Arani ins Projekt ein. Pflanzungszeitpunkt,
Artenwahl und Schutzmassnahmen gegen Kälte und Wind
konnte er durch seine Beobachtungen optimieren. Dadurch
wird der Projekterfolg verbessert und mehr Landwirte aus
der Nachbarschaft können überzeugt werden.
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01 Marcela trägt Wasser zu den Bäumen. 02 Bianca pflanzt eine Tumbopflanze im Obst-garten. 03 Der Obstgarten wird eingezäunt. 04 Strohnest als Frost- und Verdunstungs-schutz.
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GanZ heRZliches «dankeschön»Ich möchte mich herzlich bei all jenen bedanken, die INTERTEAM eine Spende zukommen liessen. Mit meinem Einsatz kann ich einen konkreten und wertvollen Beitrag leisten, um armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen in meinem Einsatzland ein besseres Leben zu ermöglichen. Jedoch ist dies nur durch die Mitfinanzierung von privaten Spenden möglich. Ich und INTERTEAM freuen uns daher über jede finanzielle Unterstützung.
PC-Konto 60-22054-2 INTERTEAM Luzern ; Vermerk: Charlotte Sidler, Bolivien
INTERTEAM setzt sich für Kinder und Jugendliche in Afrika und Lateinamerika ein, damit diese ihre Po-tentiale entfalten und als Hoffnungsträger die Zukunft ihrer Gesellschaft selbstbestimmt mitgestalten können. Die Hilfe erfolgt durch mehrmonatige bis mehrjährige professionelle Einsätze von Fachleuten, kombiniert mit gezielten Projektfinanzierungen.
Als Schweizer Hilfswerk der Personellen Entwicklungszusammenarbeit steht INTERTEAM für langjährige Erfahrung, effiziente Strukturen sowie starke Partnerschaften im Globalen Süden. In der Schweiz ist INTERTEAM die führende Ansprechstelle für qualifizierte Berufsleute, die einen Einsatz in der Entwick-lungszusammenarbeit im Sinne eines solidarischen Engagements leisten wollen.
Der 1964 gegründete Verein INTERTEAM finanziert sich über öffentliche, private und kirchliche Gelder und garantiert als ZEWO-zertifizierte Non-Profit-Organisation einen verantwortungsvollen, zweckbe-stimmten und wirkungsvollen Mitteleinsatz.
ZEWO-Gütesiegel Das ZEWO-Gütesiegel belegt, dass INTERTEAM seine Spendengelder zweckbestimmt, wirtschaftlich und wirksam einsetzt.
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01 Vorrat verschiedener Kürbisarten. 02 Alejandro Rojas mit reicher Ernte.0102